(Text von 2014) … In der warmen Mittagssonne eines ansonsten völlig unspektakulären Novembertages 2011 stieg ich in ein Ruderboot, stieß mich in einem Hafen an der Südspitze Portugals von einem schmalen Holzsteg ab und ruderte hinaus aufs Meer. Und manchmal muss es eben das Meer sein! Mein neues Ziel im Leben: die andere Seite des Atlantischen Ozeans, 6500 Kilometer und sicher eine Million Ruderschläge weit entfernt. Barbados! Ich war vorher noch nie auf dem Meer gewesen und wusste nicht einmal, ob ich überhaupt noch schwimmen kann. Zwei Jahre hatte ich wenigstens die Theorie gepaukt, meinte, mir schon vorstellen zu können, auf was ich mich da einlasse. Meine neuen Herausforderungen für die nächsten Monate: Stürme, haushohe Wellen, Öltanker und echte Haie. In der Ungewissheit, ob ich dieses Abenteuer überhaupt überleben könnte, fühlte ich mich wieder lebendig. Auf der Flucht vor mir selbst über den Globus spürte ich mich mit jedem weiteren Ruderschlag wieder ein bisschen mehr. Der Atlantik riss mich schneller aus meinen Erinnerungen und alten Gewohnheiten, aber auch aus meinen Erwartungen für die Zukunft, als mir lieb war. Das Meer ohrfeigte mich so lange mit klatschnassen, kalten Wogen, bis ich in der Gegenwart wieder zur vorläufigen Besinnung kam. Aber musste ich wirklich erst mein Leben riskieren, um mich wieder lebendig zu fühlen?
Mein Egotrip im Ruderboot endete nach einem Vierteljahr, am 21. Februar 2012, in der Karibik, tatsächlich wie erhofft an der Westküste von Barbados. Das bis dahin größte Wagnis in meinem Leben hatte ich zumindest überlebt. Und doch war dieses Abenteuer noch nicht das Ende meiner »Heldenreise«. Diese Seite gibt einen Überblick über diese Reise, mehr erfahren kann man in meinem ersten Buch „TOSENDE STILLE“. Die nachfolgenden Zeilen sind noch von 2012:
Einen Zusammenschnitt der Videosequenzen hier, und auch das Seetagebuch über 90 Tage kann man nachlesen.
Mein Boot war eine Spezialanfertigung aus hochspeziellen Glas- und Kohlefaserverbundwerkstoffen. Es war damit für seine Größe sehr leicht, aber auch extrem robust … und teuer. Mit mehr als sieben Metern Länge, und fast zwei Metern Breite, wog es in etwa 275 Kilogramm … unbeladen und ohne Lack jedenfalls. Am Ende ruderte ich circa eine Tonne über 6500 Kilometer in die Karibik. Das Boot verfügte über zwei winzige, „wasserdichte“ Kabinen für Equipment, Nahrung und den „Motor“, einen 1,77m langen Zweitakter und Zweischaufler aus Fleisch und Blut. Die Geschwindigkeit eines Ozean-Ruderbootes dieser Solo-Klasse liegt in ruhiger See dann bei maximal 2kn – also weniger etwa 3,5 km pro Stunde.
Das Boot war aggressiv- und kompromisslos selbstaufrichtend, was im Falle einer Kenterung (und damit war oft zu rechnen!) ein vollständiges Durchkentern um 360° gewährleistete (Mit allen Konsequenzen für den Insassen). Dazu befanden sich Ballasttanks im Kiel, die über diesen Zweck hinaus mit einer Notration an Süßwasser gefüllt waren. Das Boot verfügte zudem über Solarpanels mit insgesamt 210 Watt auf der Kabine, die, leider nur bei Sonnenschein, fast genügend Strom für die Entsalzungsanlage, das Kommunikationsequipment, den aktiven Radar-Reflektor, das AIS und den GPS-Tracker und Plotter lieferten, sowie Licht, Lüftung und Unterhaltung an Bord sicherstellten. Gespeichert wurde die Energie in zwei 105Ah Gel-Batterien, die zusammen schon fast 70 Kilogramm wogen. Ach ja: Und zwischen beiden Kabinen befand sich letztlich auch ein sehr spartanischer Rudersitz. Ich bin nun die erste Deutsche, die allein in einem Ruderboot über einen Ozean gerudert ist. Und das komplett ohne Begleitschiff. Ich bin die erste Frau auf dieser Erde die zudem allein vom Festland Europas aufbrach … und auf der anderen Seite des Ozeans aus eigener Kraft ankam. Stolz bin ich natürlich darauf! Aber ausruhen auf diesem Erfolg mag ich mich nun nicht wirklich … also geht es weiter auf dem Pazifik.
Das Equipment an Bord
Natürlich führte ich eine Menge Equipment mit an Bord, meist sogar in doppelter Ausführung. Unter anderem waren dies:
- Entsalzungsanlage (elektrisch & manuell)
- Treibanker, Sturmanker, Fallschirmanker
- GPS Tracker, Plotter, Seekarten, Funkgerät, Notrufboje (EPIRB) …
- Aktiver Radar Reflektor, AIS und gedrückte Daumen (Kollisionsvermeidung)
- iPods, Kopfhörer, Notebook, Kamera, Satelliten-Telefon
- Schwimmweste, Sicherungsweste, Sicherungsleinen etc.
- Rettungsinsel, Survivalequipment (Anzug etc.)
- Sonnenschutzmittel, umfangreiches Medizin-Kit
- Werkzeuge, Reparaturkits, Epoxy, Klebebänder etc.
- 3 Paar Ruder
- Kleiner Kocher samt Sturmhalterung und Feuerlöscher!, Geschirr
- Kleidung, Sturmzeug, 2000 Babyreinigungstücher
- und natürliches einige mehr
Zusätzlich natürlich Wasserreserven & mehr als 250 Kilogramm an Nahrungsmitteln. Ich benötigte etwa 7 Liter Trinkwasser am Tag, die ich in erster Linie über einen elektrischen Meerwasserentsalzer generieren konnte. Ein ziemlich teures Stück Hardware. Als Reserve wurden sämtliche Ballasttanks im Kiel mit Frischwasser gefüllt. Lebensmittel für 4+ Monate befanden sich in weitgehend wasserdichten Schotts im Rumpf, sowie in der vorderen Aufbewahrungskabine – extra wasserdicht verpackt natürlich. Der Vorrat bestand vorwiegen aus gefriertrockneten, dehydrierten, Fertigmahlzeiten, die über einem freischwingenden Sturmkocher zubereiten werden konnten. (notfalls auch ohne!). Dazu hunderte Energieriegel, isotonische Getränke/Pulver, Supplemente, Keimsprossen, Nüsse, Trockenfrüchte, Körner, Milchpulver, Powergels, Würzmittel, Öle .. und natürlich viel, viel, VIEL Schokolade. Die hohe Temperatur an Bord, dazu die ständige Feuchte erforderten natürlich eine sorgfältige Auswahl und Lagerung. Der Kaloriebedarf lag je nach Leistung zwischen 4000 und 8000kcal. Hauptprobleme waren folglich ein Kaloriendefizit, Unterversorgung mit Nährstoffen und, bei dieser Zusammenstellung und der Anstrengung:, Hypo- und Hyperglykämien, Flüssigkeitsmangel und Gewichtsverlust.
Ein ganz eigenes Thema waren die Bekleidung, sowie die Schlafssäcke und Decken. Ständige Durchfeuchtung und Salzverkrustung – natürlich eine extreme Herausforderung für Haut und jeden Stoff. Bewegt man sich 12 Stunden am Tag mit nasser Haut auf einem winzigen Rudersitz, so ist natürlich zu erwarten dass die Haut an ihre Grenzen kommt. Die Durchfeuchtung und Salzablagerungen an der Kleidung -Sandpapier, das sich Schlag um Schlag über die Haut scheuert- war nicht unbedingt hilfreich. Und in den Pausen? Normale Schlafsäcke, Decken, Kleidung würden gar nicht mehr trocknen, verrotten – und damit denkbar schlecht die Heilung der Haut unterstützen. Von mangelnder Isolationsleistung spreche ich erst gar nicht! Also, es brauchte absolute High-Tech Materialen. Materialen die sich bewährt haben – keine Experimente. Funktionsbekleidung zum Rudern, Schwerwetterbekleidung, schnelltrocknende, UV-beständige Stoffe. Und trotzdem, ich war fast ständig nass und das Haut- und Wundmanagement nahm viel Zeit in Anspruch.
Herausforderungen
- Verkehr (Kollisionsgefahr – schlechte Sichtbarkeit/fehlende Radarsignatur)
- Wasser (extrem korrosiv fürs Equipment, Hautprobleme in Folge ständiger Durchnässung, schwere Undichtigkeiten, Kollision mit Treibgut)
- Wind (Abdrift, hoher Wellengang bei schwerem Sturm, Verletzungen durch Wellengang/Kenterung, über Bord fallen, Schlafmangel, Seekrankheit)
- Land (Kollision/Auflaufen bei schwerem Seegang, Gezeiten)
- Sonne (Hitze, schwerer Sonnenbrand/-stich, Strommangel bei fehlender Sonne)
- Tiere (Rumpfbefall, Haie, Bootsschäden durch Wale)
- Reizentzug (Schlafstörungen, Halluzinationen, Schwäche)
- Arbeit am Ruder (alle Arten von Verletzungen, Ermüdungserscheinungen)
- Nahrung (Kaloriendefizit infolge Fehlernährung/Seekrankheit etc., Dehydrierung)
Die Vorbereitung
Wie bereitet man sich nun optimal auf eine solche Herausforderung vor? Natürlich ist es nicht allein mit dem täglichen Training, vorwiegend High Intensity Cardio und Krafttraining, getan. Die Routine an Bord, der Umgang mit dem Equipment muss trainiert werden. Navigation, Kommunikation, Meteorologie, Medizin auf See, Überlebenstraining, Reparaturen an Rumpf und Equipment – hier galt es auch zusätzliche Kurse zu absolvieren (SSS + SHS), sich mit anderen Experten auszutauschen, zu üben, zu üben und zu üben. Absolute Sicherheit, Routine, in jedem zu erwartenden Szenario ist die Grundvoraussetzung um dieser Herausforderung auch psychisch gewachsen zu sein. Klingt nach harter Arbeit, ist tatsächlich aber auch mit großer Begeisterung, mit Spaß verbunden. Ich glaube wer diesen nicht mehr findet, der ist irgendwie auf einem falschen Weg.
In vielen Bereichen verfügte ich bereits über einen soliden Background bevor ich aufbrach, womit es mir nicht all zu schwer fiel diesen Horizont zu erweitern. Ich halte mich für handwerklich sehr begabt, verarbeite nicht zum ersten Mal im Leben Carbon, Kevlar, Epoxid und Co, ich bin in medizinischer Erstversorgung sehr gut ausgebildet und allgemein tief interessiert – beruflich entspringe ich der Kommunikationstechnik. Eine meiner größten Schwächen – ich verliere mich oft im Detail – entwickelte sich bei diesem Projekt zu einer großen Stärke, wobei ich nicht das Ganze aus den Augen verlieren durfte. Was mir wichtig ist: Soweit irgend möglich installiere ich alles Equipment selbst am Boot – kenne jedes Detail, jede Leitung, jede Schraube. Ich bin kein Küken, ich packe an und weiß wirklich was ich hier tue.
Mein High Intensity Cardiotraining (HIT) setzt sich überwiegend aus Rudern, Radfahren und Laufen zusammen. Dies sowohl drinnen als auch draußen (Rudermaschine, Boot, Crosstrainer, Laufen, Crossbiking, Ergometer). Fortgesetzt wird das Ganze durch Krafttraining, Pilates, Yoga. Es gilt die Ausdauer und Kraft zu steigern, Gelenke, Sehnen und Muskeln langsam an die enorme Belastung zu führen. Ausgewogene Ernährung, Nahrungsergänzung. Aber auch vor allem das so essentielle Training an meiner Technik im Boot, in Begleitung erfahrener Rudertrainer, steht im Fokus.
Rudern für die Stille – UNTERWASSERLÄRM
Und der Unterwasserlärm? Ich unterstütze mit dieser Aktion die Kampagne „Silent Oceans“ von OceanCare bzw. der International Ocean Noise Coalition. Die Wahrheit ist: Wie so viele Menschen, die mit sich selbst nicht klar kommen, wollte auch ich damals die Welt retten. Es stand für mich außer Frage, dass ich eine Umweltkampagne mit auf den Ozean nehmen möchte. Heute mag ich die Welt gar nicht mehr retten, niemandem mehr erzählen, dass es 5 vor 12 ist. Das wissen wir doch längst alle! Ich möchte nicht mehr an das Gewissen der Menschen appellieren, dass wir doch unbedingt etwas tun „müssen“. Wenn wir immer nur „müssen“, machen wir am Ende ja doch nichts, der Nachbar macht ja auch nichts. Heute versuche ich mit meinen Büchern und Vorträgen nicht mehr die Welt zu retten, sondern den Lesern und Zuhörern wieder zu vergegenwärtigen, was für ein wunderbarer Ort diese Erde ist. Und ich hoffe, dass es mir auch gelingt, jedem Menschen zu zeigen, was ER für ein Wunder ist … und dass es eben kein Selbstverständnis ist, dass er nun durch diese beiden Augen schaut. Würden wir das alle wieder begreifen, wäre Umweltschutz und Nächstenliebe ein Selbstverständnis und kein Zwang aus Notwendigkeit. Wir würden die Herausforderungen unserer Zeit annehmen, weil wir sie annehmen können und dürfen, nicht weil wir sie annehmen müssen.
Was ist Unterwasserlärm? Viele Wale mussten stranden, bevor internationale Gremien die gefährliche Dimension des Unterwasserlärms ernst zu nehmen begannen. Schiffsverkehr, Militärsonare sowie seismische Tests zur Ortung von Erdölvorkommen erzeugen in den Meeren ein zuweilen ohrenbetäubendes Dröhnen. Wenn Wale aufgrund des Lärms stranden, sehen wir aber nur die Spitze des Eisbergs. Die Beschallung setzt auch den Fischbeständen zu. Summiert man die Folgen des Lärms mit jenen der Überfischung sowie der Meeresverschmutzung, wird klar, dass die Nahrungskette hochgradig geschwächt sein muss. Immer mehr Meerestieren droht der Hunger. Aber auch die Menschen werden darben, denn ein Grossteil vor allem der ärmeren Weltbevölkerung ist auf Fisch als primäre Proteinquelle angewiesen.
Hier noch ein paar Fotos von dem Abenteuer. Weitere Fotos gibt es unter /PR/Pressefotos/