Ich habe etwas erkannt, muss da aber sicher selbst noch weiter dazulernen und gerade auch mein eigenes Verhalten sehr in Frage stellen – aber es stimmt wohl: „Der wahre Charakter eines Menschen offenbart sich erst, wenn man ihm Macht gibt oder mit ihm streitet.“
Im Streit geht es dabei eben nicht um das WARUM ich etwas sage oder tue; es geht nicht darum, was die Auslöser und Gründe meiner Reaktion sind; es geht nicht um das Theater, wer was zuerst gesagt oder getan hat – sondern mein wahrer Charakter offenbart sich eben nur genau darin, WIE ich reagiere und WAS ich erwidere. Im Streit geht es leider oft nur noch darum, Recht zu haben – man streitet unkonstruktiv dann, gegeneinander, nicht miteinander, und erst recht nicht füreinander! – es geht nur noch darum, sich das eigene vage Selbstbild und Selbstwertgefühl zu bestätigen – und es geht leider auch um Macht, die man über einen anderen Menschen hat, wo dieser sich im Vertrauen öffnete, vielleicht sogar liebt und sich besonders verletzbar gemacht hat. Menschen mit wahrem und gutem Charakter brauchen niemanden über den sie sich erheben müssten – sie respektieren folglich auch die Grenzen des anderen, auch wenn es andere Grenzen sind als die eigenen und diese nicht immer nachzuvollziehen sind – und sie nehmen auch Rücksicht und sind umsichtig, wo sie diese Grenzen noch gar nicht kennen [können]. Egal in welcher Beziehung man zueinander steht und wie man selbst behandelt wird. Für einen solchen Streit braucht es immer zwei die noch so streiten und sich aneinander abarbeiten müssen.
Charakterschwache und hässliche Menschen sind wütend, laut oder manipulierend – sehr schwache Menschen sinnen auf Rache, fordern zurück, drohen und eskalieren mit Schlimmerem. Charakterstarke Menschen vergeben, schon um eigenen Frieden zu finden – sie versuchen auch in der Verletzung noch zu verstehen, warum der andere verletzt hat. Und wirklich starke und „reiche“ Menschen können geben, Zeit, Gedanken, Unterstützung, und das, ohne Lohn, Ausgleich, Wiedergutmachung, Dank oder Genugtuung erwarten oder einfordern zu müssen. Im Zweifel ignorieren sie eher, als zurückzuschlagen oder einzuklagen, und damit das Ganze weiter zu befeuern. Im besten Fall akzeptiert man die Situation und geht weiter, wo sie nicht mehr zu ändern ist. „Akzeptanz ist Frieden“. Wer vergeben kann, kann loslassen und ist frei. Er ist auch frei dann, um vielleicht zu bemerken, wie gut er einem Menschen hätte wirklich tun können, wo er doch auch in der Lage ist, ihm so weh zu tun.
Was wir austeilen, stecken wir nur selber ein. „Was wir anderen antun, das haben wir uns selbst längst angetan“, so heißt es. Wenn ich die Schwächen eines vertrauten Menschen in Machtspielen oder Streitigkeiten ausnutzen muss, um mich ihm überlegen, klüger, mächtiger oder stärker zu fühlen, dann zeigt das nur, wie schwach das eigene Selbstwertgefühl ist, und wie groß der eigene Schmerz und die tiefe Verzweiflung und Verbitterung ob der Machtlosigkeit doch sein muss, nichtmal das eigene Leben selbstbestimmt und zufrieden leben zu können. Und so heißt es eben: „Wie wir andere behandeln, ist immer eine Reflexion davon, was wir selbst sind und wie wir uns selbst behandeln.“
Und doch bedingt ein jeder Schatten ein kleiner Licht das ihn wirft. Denn letztlich liegt in der Verletzung die man dem anderen zufügt auch eine Chance. Die Chance, dass er erkennt, dass er sich am Ende eben doch nur selbst verletzen und wütend machen kann. Nur wo die Worte eines anderen auch auf eigene Zweifel treffen, kann Verletzung, Wut und Unfrieden entstehen. Und nur wo ein unsicherer Mensch überhaupt meint, sich noch rechtfertigen und richtig erkannt oder verstanden werden zu müssen, nur wo er gefallen und akzeptiert werden will, wo er überhaupt noch meint, anderen etwas beweisen zu müssen – kurzum: wo die Meinung der anderen der eigene Lebensatem ist, nur dann ist er verletzbar.
Und so stört es uns zutiefst zum Beispiel, wenn uns jemand für dumm, unehrlich oder hässlich hält, nur weil wir für andere als klug, unbescholten, erfolgreich und schön gelten wollen. Aber wer sich selbst wirklich so empfindet, dem ist egal, was andere über ihn denken – er verbiegt sich nicht und vor Allem: er hat es nicht nötigt, sich selbst darüber zu definieren, dass er anderen „ihre“ vermeintlichen Makel und Unvollkommenheiten vorhält. In der Unvollkommenheit der anderen spiegelt sich doch nur die Unfähigkeit eigene Vollkommenheit zu leben. Wir müssen also auch nicht alles annehmen, wir haben immer eine Wahl, und das zu erkennen gilt es. Denn wie heißt es im Zen-Buddhismus: „Wenn uns jemand ein [faules] Geschenk geben will, aber wir es nicht annehmen, wem gehört es dann?“
Und so ist gerade ein Streit die beste Möglichkeit um sich selbst und seinem wahren gegenwärtigen Charakter zu begegnen – in dem man eben auch zuhört, was man selbst sagt und damit über sich und seinen wahren Charakter preisgibt. Und in dem, was ich dem anderen vorwerfe, kann ich dann auch das Verborgene erkennen, das doch noch in mir wirkt und mich an mir selbst scheitern lässt. Wenn andere mich verletzen wollen, sagt das erst einmal auch mehr über sie aus, als über mich – nur wenn es mich doch trifft, deutet es noch auf ein Potential hin, dass ich in mir erst noch entdecken darf, um mich zu entwickeln, abzugrenzen und endlich vom Urteil anderer – vom kollektiven Unbewussten! – zu lösen und zu befreien und um ins Selbst-bewusste-Sein zu finden.
In diesem Sinne, hier noch zum Abschluss diese wunderbaren Zeilen von Martina Pokorny:
„Schwarz auf Weiß
Vehement vertrittst du deine These,
verbissen ich die Antithese.
Unsere Meinungen tragen uns
Wort für Wort,
immer weiter voneinander fort.
Dein Schwarz gegen mein Weiß –
längst geht’s nur noch ums Gewinnen!
Viel zu hoch ist der Preis,
sag sind wir denn noch bei Sinnen?
Die Sterne vom Himmel zu holen
hatten wir uns einst geschworen,
unser Traum,
noch ist er nicht verloren.
Eben noch um Fassung gerungen,
allmählich zum Konsens bereit –
unser Ärger fast schon verklungen.
In Bächen schmilzt dahin das Eis,
du malst dein Schwarz jetzt in mein Weiß.“
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