Was ist denn nun diese ominöse Selbstliebe genau, von der alle reden und schreiben – dieses mächtigste Fabelwesen aller Tugenden, das wir Menschen in zahllosen Hamsterrädern der Selbstoptimierung jagen?
Ich glaube, „Selbstliebe“ ist erstmal nur ein Synonym für die bedingungslose Ehrlichkeit zu sich selbst!
Und ohne schonungslose Ehrlichkeit beginnt kein Weg, der irgendwo hin führen wird, wo es eine Wahrheit zu finden gäbe, die wir im Einklang mit unseren Gefühlen und mit anderen Menschen auch erfüllt leben könnten. Mit Lügen beginnen nur Irrwege.
Sich selbst zu lieben bedeutet nicht, sich selbst makellos und geil finden zu müssen, und sich im Spiegel und in Fotos zu bestaunen und zu feiern. Es bedeutet, sich allen vermeintlichen Makeln, Fehlern und Unzulänglichkeiten bewusst zu stellen, und mit ihnen und mit der eigenen Unfähigkeit sich zu lieben, seinen Frieden zu machen – um der Angst vor der Wahrheit ihre Kraft zu nehmen, nämlich davor: dass wir nur an unserem eigenen Maßstab scheitern, und darin alles andere als vollkommen und zu Recht oft gescheitert sind. Mit dem selben Maßstab mit dem wir uns doch hassen, können wir uns nicht heilen. Dieses Scheitern müssen wir erfahren, zutiefst, durch die Krise, mit dem Kopf gegen die Wand – dann erst lassen wir unnütze Verurteilungen und Verhaltensmuster los, die sich nicht bewähren und die uns und andere verletzen – dann, wenn wir damit nicht mehr weiter „wissen“. Die Chance jeder Krise!
Was bringt es einem, sich selbst anzulügen, sich selbst etwas vorzumachen? Ich habe so viele dumme und rücksichtslose Entscheidungen in meinem Leben getroffen, und mir teilweise jahrzehntelang versucht irgendwelche Lügen zu rechtfertigen, mir zu vergeben und einfach weiter so zu leben. Doch der Frieden kommt erst, wo man sich mutig sich selbst stellt und sich die Wahrheit und die tiefsten Gefühle und Enttäuschungen wieder offenbart. Und genau darin finden wir erst Vergebung, im Mut, ehrlich zu uns selbst zu sein, zu erkennen, was wir getan haben und was wir geworden sind, obgleich wir alle doch immer nur unser Bestes geben. Aber dass unser Bestes eben doch nicht immer reicht … erst das macht uns zu wahrlich guten und vor allem zu nachsichtigeren und rücksichtsvolleren Menschen.
Daran glaube ich jedenfalls, und auch daran:
Was wir unterdrücken, machen wir nur stärker – was wir in uns bekämpfen, füttern wir gerade erst damit – das gilt für Angst, für Selbsthass, genauso wie auch für das Ego. Wer gegen Angst kämpft, endet in Panik! Wir sollten vielleicht stattdessen mehr dagegen kämpfen, uns nicht zu verlieben, und wir wissen doch alle: gerade das gelingt dann nie und es passiert erst Recht 🙂
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