Gestern Nacht habe ich was durch! Ich wollte euch eigentlich etwas ganz anderes schreiben, aber eine Beinahekollision mit einen Schiff in der verregneten Nacht erschien mir dann doch einen Tick spannender als Blogeintrag. Die Meldung auf Facebook kam ja bereits in Echtzeit, wie auch das Fotomaterial noch letzte Nacht von mir hochgeladen wurde. Also was war nun genau passiert?
Vom Regen durchnässt machte ich mich daran das Boot zum Mondaufgang zu sichern, als ich am Horizont ein blinkendes Licht erblickte. Rot und Weiß. Ok, das irritierte mich dann erstmal, da ich kein einziges Schiff auf dem AIS hatte, und sich auch keine Leuchttürme mit relevanter Tragweite auf den Inseln befanden. Hmmm. Seltsam. Vielleicht doch ein Stern? Ich meine ist nicht so, dass Sterne und Mond hier nicht doch ab und an für Spannung sorgen. Aber definitiv: Rot und Weiß. Kein Stern. Und es wurde zweifelsfrei heller, bewegte sich in meine Richtung … oder ich mich in seine. Okay. Und siehe da, plötzlich tauchten weitere Lichter auf. Der ganze Horizont füllte sich vor mir. Steuerbord und Backbord. Teilweise querab. Ach Du Sch*****!!! Was um Himmels Willen??? Ein Licht war besonders auffällig, oder sagen wir: Es schienen zwei oder drei Lichter an einem Punkt zu sein, die Lichtsignale gaben. Ohne Sinn. Und dieser Lichtpunkt kam besonders schnell auf mich zu. Was tun? Ich ahnte es müssen Bojen sein, möglicherweise Treibnetze und ein Trawler. Aber AIS: Fehlanzeige. Funkgerät, Schiff gerufen: Fehlanzeige. Allgemeiner Sicherheitsanruf: ebenfalls Fehlanzeige. Radar Zielverstärker an, Alle Lichter gezeigt. Nix. Mist! Und nun?
Ich drehte ab und ruderte auf die Mitte zwischen zwei Bojen zu, wo ein etwaiges Netz am tiefsten unter der Wasserlinie treiben dürfte. Drehte ab nach Lee. Doch das helle weiße Licht kam näher und näher. Direkt in meine Richtung. Und plötzlich erkannte ich, dass es sich um Suchscheinwerfer handelt. Toplichter oder gar Positionslichter waren weiterhin nicht zu erkennen. Die Lichter drehten um ca. 90 grad, was für reichlich Verwirrung bei dem Seegang sorgte. Zumal ich den Kurs des Bootes nur schätzen konnte, selbst wie eine Eierschale in den Wellen wippte. Ohne Positionslichter konnte ich sowieso nicht urteilen. Wie Ihr auf den Bildern erkennt, steuerte das Boot weiterhin frontal auf mich zu, wo ich die Spotlights am Bug erwartete. Ich sprang eigentlich ständig hin und her. Zwischen Rudersitz und Funkgerät: Hoffnungslos. Der Radaralarm begann plötzlich zu schreien.
Kollisionsvermeidung hatte jetzt oberste Priorität, ich konnte mich nicht mehr um die Netze kümmern. Aufstoppen über den Sturmanker erschien mir noch gefährlicher in diesem Moment, wo ich den Kurs nicht bestimmen konnte. Ich griff zu den weißen Fallschirmraketen und feuerte die erste ab. Langsam senkte sich die Lichtkugel und beleuchtet den Ozean. Mein Kompass schlug plötzlich um. Mein Kurs änderte abrupt von 210° auf 300 bis 360°. Ich verstand gar nichts mehr. Was zur Hölle passiert hier? Da mein Boot abdrehte, war nur schwer zu erkennen ob das Schiff vor mir nun den Kurs ändern würde. Ich versuchte das Ruder zu stabilisieren, als ich die zerrissene 6mm Steuerleine in der Hand hielt. Na super! Scheinbar bin ich denen mit meinem Ruder ins Netz gegangen und habe mir die Steuerleinen abgerissen. Ich war geblendet von den Lichtern, ab weiterhin hielt das Boot voll auf mich zu. Ich zündete eine zweite Rakete und den Laser. Wieder nichts. Das müssen die gesehen haben. Das waren höchsten noch 400 Meter. Doch nichts. Ich schrie ins Funkgerät … 100 Meter vorm erwarteten Aufprall zündete ich die Handfackel und schrie mit schlotternden Knien, winkte ab und filmte sogar noch :-). 50 Meter, höchstens! (siehe Foto) die Motoren heulten auf, das Wasser am Heck spritze, das Schiff drehte nach Backbord ab. Ich sah in die Gesichter der Fischer und zeigte den Vogel. Ich roch die Maschine. Schrie nach wie vor: „Turn on your VHF, Radio, 16, Can not manouver“. Nix. Ich eilte zum Rudersitz, versuchte so schnell wie möglich von dem Netz wegzukommen. Der Trawler drehte bei und näherte sich auf 20m Steuerbord. Es sei angemerkt, bei Seegang und nicht im Hallenbad. Die Männer schrieen mir in Spanish etwas herüber. Ich verstand nichts. Winkte mit dem Funkgerät, schrie weiterhin „VHF, RADIO, 16“. Hatte das kleine Handfunkgerät inzwischen als Verstärkung an Deck. Nichts. Die Männer gestikulierten, ich quittierte irgendwann mit einem „Idiots!“ – worauf ich ein „Ju ar welcum“ zu hören meinte. Doch ein Ansatz von English???
Ich ignorierte das Gelaber irgendwann, mir wurde der Abstand deutlich zu gefährlich. Ich drehte ab. Konnte wieder steuern, nachdem ich die Fusssteuerleine aufs Handsteuer umgelegt hatte. Meine Güte. Ich war fertig. Ich konnte das nicht fassen. Was für Idioten. Kein AIS, kein Funkgerät, keine ausreichende Beleuchtung, ignorieren Signalraketen, sprechen kein Englisch … inmitten von Treibnetzen, Offshore.
Ist mir egal wenn jetzt wieder die Klugscheisser kommen und mir sagen, dass ich leichtsinnig wäre mit so einem Boot über den Teich zu rudern. Aber zumindest bin ich nach Vorschrift beleuchtet und ausgerüstet. Habe bisher immer sicher steuern können und nie andere Schiffe in Gefahr gebracht. Wenn aber ein Boot permanent auf dich draufhält, nicht kommunizieren kann, ja, dann werden sogar Klugscheisser irgendwann ganz weiß im Gesicht. Jede Wette. Dann ist Klugscheisserrat teuer. Die weißen Signalrakten waren unmissverständlich, wurden entweder ignoriert oder einfach nicht gesehen. Auf so kurzer Distanz! Entweder der Kapitän war mit beim Bojenausbringen, und hatte unter den Spotlichtern mein Boot einfach nicht erkannt ODER, das kam mir heute Morgen beim Sichten der Videos in den Sinn: Die haben sehr wohl die Signale erkannt, erstmal stillgehalten oder sogar ganz bewusst drauf zu gehalten. „Schaun wir doch mal was für ein komischer Kutter in unseren Netzen schippert und Raketen abschiesst“. Aber das werden wir wohl nie erfahren.
Das war fahrlässig, dass nehme ich nicht auf meine Kappe. Ein einfaches Gespräch über Funk hätte die Situation aufgeklärt, AIS hatte zumindest beim Steuern helfen können. Die Netz waren nicht das Problem – wohl aber eine Trawler auf Kollisionskurs inmitten von Netzen. AIS und Funk, Beides ist Vorschrift, weltweit. Wo ich schon weiße Raketen abschiessen muss, dann sollte klar sein dass ich nicht mehr ausweichen kann oder Abstand benötige. Das ist absolut unmissverständlich.
Etwa eine Stunde später tauchte der Trawler wieder auf, wieder meine Richtung. Ich erstattete Meldung, und mir war die Situation so riskant, dass ich mich im Dunkeln davonschlich. Womöglich hatten sie inzwischen bemerkt, dass ich Ihr Netz erwischt habe. Der Radaralarm begleitete mich bis heute morgen um 8:30. Da ich nicht wusste ob noch mehr von diesen Kuttern unterwegs waren, blieb ich wach. Alle 10 Minuten raus, den Horizont nach Bojen und Trawlern absuchen.
Ja … muss man unbedingt mal erlebt haben. Ganz großes Kino.
Und jetzt die Ironie: Ihr erinnert Euch an meine rote Boje auf den Bildern vor wenigen Tagen? Meinen Mr. Wilson? Ja, die Fischer hatten die gleichen an Bord. Wahrscheinlich haben Sie nur Mr. Wilson zurück fordern wollen. Aber nach Seerecht gehört er mir 🙂
Inzwischen habe das Ruder wieder repariert, etwas geschlafen. Meine Hände sind ziemlich im Eimer. Ich war stundenlang durchnässt vom Regen, habe extrem hart gepullt – die aufgeweichte Haut und die Schwielen sind alle aufgerissen. Sehr schick, sehr angenehm. Aber was solls, weiter geht’s.