Das Jahr 2020, während Corona an unseren Paradigmen und Dogmen rüttelt, steht für mich ganz persönlich unter dem Motto: „Zu leben bedeutet (auch) zu sterben.“
Nach privaten Verlusten sowie ganz neuen, umfassenden Erfahrungen in der intensiven Betreuung und Pflege sterbender Menschen im stationär-hospizlichen und -palliativen Bereich, wende ich mich nun auch „beruflich“ noch konkreter der Sterbebegleitung zu. Mit mehreren Voluntariaten, Weiterbildungen und Zertifizierungen in den Bereichen Palliative Care, Sterbe- und Trauerbegleitung, Betreuung und Pflege kranker, behinderter, junger und alter (im Besonderen: dementer) Menschen möchte auch ich einen bescheidenen Teil dazu beitragen, eine gesunde Sterbekultur in Deutschland wiederzubeleben. Bis zu neunzig Prozent der Menschen in Ballungsgebieten versterben in Krankenhäusern – doch neunzig Prozent aller Menschen wollen am Liebsten daheim sterben. Finde den Fehler! Weniges ist so persönlich wie der Tod eines Menschen, und doch wurde er derart institutionalisiert und aus unserer Mitte verbannt. Leben wir seitdem wirklich bewusster? Nach ganz persönlichen Erfahrungen mit Krankheit und Vergänglichkeit, und den intensiven theologischen, philosophischen und auch spirituellen Auseinandersetzungen mit dem Leben und Sterben in meinen Büchern und Artikeln, erschien mir der konkrete Schritt zurück zu meinen Mitmenschen konsequent – irgendwann tat er sich geradezu von selbst. Denn die Fragen blieben:
– Was kann ich über das Reden oder Schreiben hinaus tun?
– Wie bekomme ich Theorie und Praxis wieder zusammen?
– Welchen Wert haben Meinungen schon ohne konkrete Erfahrungen?
– Welchen Wert hat Wissen, wenn ich es nicht umsetze?
Wer sich dem Leben stellen will, der muss auch dem Tod ins Auge schauen. Das habe ich in diesem Jahr intensiv getan, und das möchte ich weiterhin tun; vor Allem in der Sterbebegleitung. Die tiefen Gespräche und „Berührungen“ mit Sterbenden, aber auch die geteilte Stille mit Toten, haben Einiges relativiert und anderes bestärkt von meinen früheren Gedanken. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich aktuell auch keine Vorträge oder Lesungen mehr, sondern stelle mich dem aktuellen Leben ganz und reflektiere und integriere meine neuen Erfahrungen. Es ist durchaus möglich, dass ich mich 2021 mit einer neuen Vortragsreihe und ganz neuen Erkenntnissen zurückmelde. Vielleicht auch mit einem neuen Buch. Bis dahin …
„Lieben heißt auch Loslassen.“
Ergänzung: Auch der Podcast „Tosende Stille“ wird in dieser Form nach nun mehr fünf Jahren und 120 Folgen in den verdienten Ruhestand gehen. Danke an alle, die mir über all die Jahre zugehört haben.
„Wir leben als würden wir nicht sterben; dann sterben wir, ohne wirklich gelebt zu haben.“ – der Dalai Lama
Janice Jakait, Trier, 30. Okt. 2020