Der bekannte britische Neuropsychologe und Neuropsychiater Peter Fenwick gilt mit seinen 84 Jahren längst als ein Pionier in der Untersuchung von Nah-Tod-Erfahrungen. Unzählige Studien mit zehntausenden Patienten fasst er so zusammen: „Es gibt keinen Zweifel an dem Phänomen, er selbst war einst der größte Zweifler. Und es sind weitaus mehr Menschen mit diesen oder vergleichbaren Erfahrungen konfrontiert worden, als man erwarten würde. Die Erklärungen im Gehirn allein zu suchen, sei einfach nur engstirnig.“
Doch eines fand ich besonders interessant in seinen Aussagen: Seine Studien belegen klar, dass es in der Natur dieser Erfahrungen starke kulturelle Unterschiede gibt. Was Menschen nach Infarkten, Schlaganfällen oder nach schweren Unfällen erfahren, ist stark von der Prägung durch die Kultur und die Religionen abhängig. Während die Amerikaner und Europäer nach der klassischen körperlichen Selbstentgrenzung zumeist durch einen Tunnel gehen, ist es bei Japanern fast immer ein Fluss, der sie fortträgt oder zu überqueren ist. Und was auch immer die Natur dieses Phänomens sein mag, es wird oft als realer und wirklicher erfahren, als das alte Leben selbst. Diese Tatsache allein scheint mir ausreichend, um das Thema ernst zu nehmen und nun auch hier einmal näher zu beleuchten.
Warum finde ich das faszinierend? Weil es sich exakt mit dem deckt, was ich zweimal erlebt und über viele Jahre versucht habe zu ergründen. Mich trieb die Frage, welchen Einfluss haben Geist und Persönlichkeit auf derartige Erfahrungen bzw. welche Konsequenzen haben unser Verhalten zu Lebzeiten und unsere Prägung auf das, was wir während dem Sterben dann erfahren … und zumindest möglicherweise auch danach.
Natürlich spricht man erstmal nicht so gerne über das Sterben und die Möglichkeit, dass das Bewusstsein selbst mindestens noch ein Weile nach dem Tod des Körpers aktiv bleiben könnte. Erstens, weil es mit der Ratio unmöglich zu erklären ist; und Zweitens, weil es nach wie vor in unserem Kulturkreis ein Tabu ist. Doch selbst wenn diese Phänomene im Hirn selbst passierten, – und da wird mir jeder der es erlebt hat zustimmen, – dann muss das Gehirn auch zweifellos dazu in der Lage sein, vermeintliche Realitäten zu erschaffen, die auf allen Ebenen und bei Weitem alles übersteigen, wozu unser Hirn im Alltag im Stande scheint. Allein das wäre schon mehr als nur bemerkenswert! Die Erfahrungen überschreiten derart unser Vorstellungsvermögen und alles, was wir aus Träumen kennen, dass die meisten Menschen sie zweifellos als mystische Erfahrung oder Gotteserfahrung beschreiben würden. Auf der anderen Seite kann auch festgestellt werden, dass unser Alltag selbst eine reine Projektion und Vorstellung sein könnte dann; was wiederum den Lehrmeinungen des Hinduismus oder Buddhismus sehr nahe kommt.
Mich persönlich führten die eigenen beiden Nah-Tod-Erfahrungen und eine amerikanische Studie mit todkranken Patienten, denen man die Angst vor dem Sterben nehmen wollte, damals zu Experimenten mit nicht-suchterzeugenden psychoaktiven Substanzen. So lassen sich unter anderem mit Dimethyltryptamin (DMT), Ibogain oder Psilocybin (Magic Mushrooms) vergleichbare Zustände herbeiführen. Erst später fand ich den Zugang auch über die Mediation, auch das ist möglich. Die absolut überwiegende Anzahl der Patienten, denen in der Studie reines Psilocybin verabreicht wurde, sprach von lebensveränderten Erfahrungen, – es konnte gezeigt werden, dass diese Zustände den meisten Patienten sogar weitgehend die Angst vor dem Sterben nehmen konnte. Das war erwartet worden und konnte bestätigt werden. Das eine derartige Studie überhaupt genehmigt wurde, ist natürlich ein seltener Glücksfall.
Zu Beginn neigt man allerdings nach derartig extremen Erfahrungen dazu, sie recht schnell wieder in die alten Schubladen des Denkens einzusortieren und abzuheften; bis zur nächsten Reise, die einem wieder den Kopf wäscht und das Ego kleinlaut werden lässt. Man verliert sich sehr schnell wieder in einem Paradigma, das man dann für die neue Wahrheit hält. Erst nach Jahren beginnt man wirklich, diesen Umstand und die Natur des Denkens selbst zu betrachten.
Aber was kann ich heute mit etwas Abstand und meinen Erfahrungen zu dem Thema feststellen?
Nun, es bestehen für mich keinerlei Zweifel mehr darin, dass unser Selbstbild und Weltbild eine mentale Projektion ist. Gern z.B. auch im Visuellen Kortex, also im Sehzentrum im Gehirn. Nur ist auch der Kopf, den wir sehen, selbst davon betroffen. Im Grunde ist alles was wir a priori mit unseren fünf Sinnen wahrzunehmen (Objekte), als auch die Wahrnehmung selbst (Aktion) und der Wahrnehmer (Subjekt) im Geist eine Interpretation, also ein Abbild und damit objektiviert und beeinflusst. Nichts anderes steht in den Veden oder Upanishaden seit tausenden Jahren übrigens. Frei nach Friedrich Nietzsche: „Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen.“ Kein Licht gelangt in unseren stockdunklen Schädel. Was wir sehen, wäre dann lediglich ein Feuer der Neuronen. Wenn es den eigenen Körper aber erst einmal in zwei Hälften gerissen hat, und man dann reines omniperspektivisches Bewusstsein bzw. Gewahrsein (oder gern auch „Gott“) erfahren durfte, oder wenn man während der OP aus dem Körper und vom Operationstisch stieg, dann kann es keinen Zweifel mehr an der imaginären Natur unserer vermeintlichen Wirklichkeit geben. Auf der anderen Seite ist es ohne so eine Erfahrung unmöglich, sich das auch nur vorzustellen.
Doch ich komme zu folgendem Schluss: Ganz gleich ob wir dem Tode nahe sind oder mit psychotropen Substanzen experimentieren; ob wir in Trance fallen oder meditieren: der Zustand unseres Geistes entscheidet massgeblich darüber, in welche Erfahrung wir dann hineinfallen, ob in einen Fluss oder in einen Tunnel … und das ist erst der Anfang natürlich. Erleben wir erst einmal die Selbstentgrenzung selbst, geht die Essenz unserer Überzeugungen alsbald wieder in Resonanz mit Erscheinungen, die wir da nun erfahren und selbst manifestieren. Man könnte das gut und gerne auch karmische Verstrickung nennen. Bei der erstbesten Möglichkeit assoziiert sich dieses geistige Residuum, – dieser Rest der Persönlichkeit! – , wieder mit anderen Erscheinungen, und verliert und vergisst sich darin… und verirrt sich dabei auch mal komplett. Gerade deshalb zitieren tibetische Mönche über Tage neben dem Leichnam aus dem tibetischen Totenbuch, dem Bardo Thödröl, das eine Art Wegweiser auf dieser Reise sein soll.
Nun, welche Konsequenzen hat das für das Sterben?
Letztlich die: Das zum Beispiel ein gieriger oder egoistischer Mensch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mit etwas karmisch in Resonanz gehen wird wieder, das zu ihm passt. Ich muss dazu weder die christliche Hölle, noch den Himmel bedienen; auch nicht die sechs samsarischen Daseinsbereiche der Buddhisten, in die wir bis zur Erleuchtung wiedergeboren werden können, entweder eben als Götter, Halbgötter (Asuras), Menschen, Tiere, Hungergeister (Pretas) oder Höllenwesen.
Und selbst wenn die Chance nur bei 0,0001 Prozent läge, das da doch irgendwas was dran ist, so kann ich persönlich nach vielen Jahren der Auseinandersetzung und hunderten Erfahrungen dieser Art nur eines sagen:
Demut, Mitgefühl, Ehrlichkeit, Vertrauen, Dankbarkeit, Achtung, Respekt und Liebe sind eine andere Frequenz als Egoismus, Selbstdarstellung, Lügen, Hochmut, Wollust, Gier, Hass, Wut und Angst. In allem, in dem wir hier nicht auch nach Selbstlosigkeit, Bedingungslosigkeit und Tugendhaftigkeit streben, begegnen wir uns am Ende selbst wieder. Darin bin ich mir allerdings inzwischen auch sicher. Ich würde niemanden in eine Religion drängen, aber ich würde gern jeden ermahnen, seinem Herzen zu folgen, als nur dem Kopf. Halte lieber nichts in deinen Händen als ein Herz, als zu viel von deinen Gedanken.
Meine Überzeugung heute? Wir werden was wir sind! … in jeder Weltenrunde im großen Bewusstsein ein bisschen mehr; bis wir ganz bei uns im Herzen ankommen oder uns endgültig in mentalen Projektionen verloren haben. Das mag dem einen Hoffnung geben, den anderen wird es aber nicht wirklich interessieren. Die Frage ist einzig: Wie viel von ihrem Desinteresse lässt du zu deinem Desinteresse werden?!
Dieses Leben hier ist nur ein kleiner Kratzer auf der Schallplatte der Schöpfung. Für ein paar einzelne und eigene Noten würde ich besser nicht das ganze Konzert ruinieren. Dir bleibt hier wenig Zeit, nutze sie weise! Ich habe viele Religionen studiert und sicher auch gelebt … sie drehen sich alle um einen gemeinsamen Nenner, haben sich aber oft über die Jahrhunderte und Jahrtausende verzettelt und verrechnet. Folge deinem Herzen, es kennt den Weg der Tugend und ist noch unverfälscht und rein. Je öfter du auf dein Herz hörst, umso lauter und klarer wird es singen… und sich deutlich von den idealisierenden und schöngeistigen Stimmen im Kopf unterscheiden, die sich gern für die Herzstimme halten und alles richtig machen wollen.
Der Amerikaner Wilder Penfield, der sich als Neurochirurg sein ganzes Leben lang mit dem Gehirn, dem Verstand und der Natur des Bewusstseins beschäftigt hatte, resümierte am Ende seines Lebens: „Nun, es gibt keinen Zweifel daran, dass Neuronen auf äußerst komplexe Art und Weise miteinander in Verbindung stehen und sich austauschen. Die Energie des Verstandes und Bewusstseins selbst aber, ist eine völlig andere; es ist, als entspränge sie einer anderen Dimension.“ Das deckt sich ganz gut mit den Theorien des Physikers und Mathematikers Sir Roger Penrose, mit dem ich sogar einmal in Heidelberg darüber sprechen durfte: Im Modell sogenannter Mikrotubuli im Gehirn (Hameroff-Penrose-Modell) schlug er die Brücke zur Quantenmechanik und zu Nervenzellern, die wie Quantencomputer funktionieren. Er ist der Meinung, dass in diesen Strukturen punktuell im Gehirn die Wellenfunktion zusammenbricht, die den quantenmechanischen Zustand von Elementarteilchen beschreibt, und sich persönliches Bewusstsein erst darin dezidiert manifestiert. Dass sich sozusagen in einem Quanten-Meer des unspezifischen Bewusstseins und der Superposition (d.h. alles ist gleichzeitig möglich) ein persönliches und begrenzt-kausales Bewusstsein herausstellt. Wie ein Tropfen der aus dem Ozean springt.
So einfach ist das mit dem Sterben des Bewusstseins also in keinem Fall, ganz gleich was wir bis heute zu wissen meinen. Entscheidend ist gerade dann, was wir als Wahrheit fühlen. In diesem Sinne: „Macht euch auf!“