Die meisten spirituellen Menschen durchlaufen fünf Phasen im Leben, einige wenige sogar sechs. Je nach „karmischem“ Gepäck verlaufen diese intensiver oder extensiver, auch können sie sich überschneiden:
1. Der Mensch ist als Kind abhängig von anderen, damit die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schutz und Zuwendung erfüllt werden. Auch erfährt er bereits als Kind und Jugendlicher bedingte Zuwendung, Bewunderung und Bestätigung, – ist er brav, angepasst und erfüllt alle Erwartungen, bekommt er sogar mehr als er braucht und wird belohnt; er muss es sich nur verdienen. Oder er erfährt das Gegenteil, und schließt daraus, er sei selbst niemals genug und er verdient gar nichts. Das Außen wird in der Sehnsucht nach Erfüllung und Bestätigung zum Spiegel und zur Projektionsfläche innerer Fülle, darin entsteht ein irrtümliches Gefühl von innerem Mangel und von Leere. Er ordnet sich ein, er ordnet sich unter, vor allem aber: vergleicht er sich nun! … da hängt er am Tropf der Gesellschaft.
2. Wird er älter, strebt er in beiden Fällen nach vermeintlicher Unabhängigkeit darin, dass er nun ausbricht und nach Erfüllung und Bestätigung in einem viel größeren Rahmen strebt. Dazu muss er sich weiter an die Gesellschaft und an die Umstände anpassen. Er beginnt voraus zu planen und Wissen und materiellen Besitz anzuhäufen. Er verwechselt Überfluss und unendliche Möglichkeiten mit Fülle und Freiheit. Doch wo er etwas erreicht, da will er bald mehr davon; wo er etwas weiß, will er bald mehr wissen; wo er irgendwo ankommt, will er bald woanders hin.
3. Als Erwachsener, den so mancher unerwartete Schicksalsschlag inzwischen eingeholt hat, sorgt er sich zunehmend darum, seine vermeintlichen Privilegien, Freiheiten und Errungenschaften wenigstens nicht zu verlieren und sich nicht mehr zu unterwerfen. Also strebt er zusätzlich nach Macht, Status (noch mehr Bestätigung), Kontrolle und Sicherheit. Sucht einen überschaubaren Rahmen. Job, Familie … Darin unterwirft er sich anderen und den Umständen aber nur immer weiter, er wird immer abhängiger; sogar von denen, die von ihm abhängig sind.
4. Er erkennt aber nun, dass Überfluss und Macht keine Erfüllung bringen, dass hier doch nichts wirklich von Dauer ist und dass durch Anpassung und Abhängigkeiten von äußeren Umständen und anderen Menschen weder bedingungslose Liebe, noch wirkliche Freiheit erfahren werden können. Auch fühlt sich Sicherheit nicht wirklich nach Geborgenheit an. Ganz im Gegenteil, spürt er sich doch immer weniger, denkt aber immer mehr. Eine seltsame Leere beginnt sich zu offenbaren. Die Vernunft beginnt sich nun selbst und das System zu hinterfragen. Und sie sucht nach einfachen, naheliegenden und rationalen Auswegen und Schuldigen. Der halbe Buchmarkt lebt davon.
5. Er versucht auszubrechen. Sammelt auf anderen Wegen vielleicht auch für Momente andere Erfahrungen. Mit Vernunft allein hat es scheinbar nicht funktioniert, also beginnt er sich tiefer mit spirituellen Themen wie Achtsamkeit, Liebe, Hingabe und Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Und mit sich selbst. Vielleicht wagt er sich sogar (wieder) an Gott. Der lange Weg der bewussten Spiritualität beginnt an diesem Punkt, – die andere Hälfte des Buchmarktes lebt davon, denn …
… da er ein Leben lang gelernt hat, dass alles einen Grund und Preis hat (also bedingt ist), und das nichts von Wert bedingungslos und umsonst ist, macht er sich mit dieser Überzeugung auf, strengt sich auch auf dem spirituellen Weg an; müht sich ab, um sich aus dem alten Hamsterrad zu befreien. Das kann aber langfristig nicht funktionieren, bestenfalls kurzfristig. Zudem verspricht die Spiritualität [zu Beginn noch!] endlich auf alle Fragen eine Antwort liefern zu können, und das hat der Mensch doch schon in der Schule gelernt: alles immer beantworten und erklären zu müssen. Da könnte er womöglich selbst zum Lehrer werden bald, wenns gut läuft, das spürt er oft. Und wieder ist da Bestätigung und Bewunderung im Spiel.
Doch er ist (weiter unbewusst) davon getrieben, dass sich etwas verändern muss, und dass er sich selbst verändern muss, um Erfüllung, Freiheit und Liebe zu erfahren. Die Konfrontation mit den eigenen Schatten führt zudem nun dazu, dass er glaubt, noch mehr an sich arbeiten zu müssen, um sein Ego zu vermindern; dass er noch mehr entschuldigen und vergeben muss, um es „wert zu sein“, bedingungslos geliebt zu werden und selbst bedingungslos lieben zu können, vor allem sich selbst. Dieser Prozess legt den Fokus aber immer mehr auch die eigene Persönlichkeit, auf das Ego – und verfängt den Menschen auch schnell wieder in hockkomplizierten Beziehungen und Umständen.
Auch wenn er nun in spirituellen oder religiösen Paradigmen und Sphären der „Liebe“ herumgeistert, ist er noch immer nicht bei sich in der Unabhängigkeit, in der Tugend und im Herzen angekommen; er kontrolliert noch, hinterfragt alles, will jeden kleinen Luftzug des Schicksals verstehen und einordnen, will alles richtig machen, idealisiert vieles, aber entwertet ebenso auch weiter sich und andere; ist nicht wirklich ehrlich, ist anfällig für Heuchelei und Selbstbetrug; glaubt immer noch, und jetzt vor allem, dass er sehr viel weiß und verstanden hat und dem „Ziel“ nahe ist.
Dieser Prozess verbraucht immer mehr Energie, es wird immer anstrengender in dieser Scheinwelt zu leben. Das Leben wandelt sich mehr und mehr zu einem Auf und Ab; am Ende zu einer wilden Achterbahnfahrt. Episoden der Euphorie und absoluter Überzeugung erden sich über Nacht in tiefsten Sinneskrisen. „Das Alte“ funktioniert einfach nicht mehr, der Widerstand gegen die eigene Wahrheit zu leben, wird immer größer. Mehr und mehr wird klar, dass es in diesem Prozess keine Kontrolle mehr gibt, dass der Mensch (vermeintlich) machtlos ist. Dabei war er schon immer weitgehend machtlos, denn die Macht die ihm innewohnte, war keine Macht; die Kontrolle war keine Kontrolle. Was er kontrollierte, das kontrollierte nur ihn selbst; was er im Griff hatte, das umklammerte ihn; was er alles wusste, vernebelte ihm die Einsicht, dass er das Wesentliche nicht sehen wollte …
Spätestens an dieser Stelle steigen die Meisten dann erstmal aus, es scheint das Ende. Dabei wäre es der Anfang. Sie arrangieren sich mit Kompromissen, mit Therapien, oder laufen im Außen wieder weg und idealisieren sich ihren gewiss schon harten Weg zum Ziel. Dabei drehen sie nur weiter ihre Runden. Aber letztlich ist es egal, wie lange man dreht, über wie viele Jahre oder Jahrzehnte. Das Unvermeidliche wird irgendwann geschehen … aber nur dann, wenn es geschehen kann und soll.
6. Hier nun beginnt der kurze Weg der Spiritualität. Hier werden die dunkelsten Räume der Seele besucht, hier gibt es keinen Weg mehr für den Menschen, denn hier schreitet der Weg nun durch den Menschen. Ganz von allein. Der Mensch begreift, dass es nun Geduld braucht und es nicht mehr nach eigenen, kleingeistigen, begrenzten Vorstellungen weiterlaufen kann. Er lernt zu vertrauen und loszulassen, auch alle Lehren, Lehrer und Erwartungen. Er wird stiller und sanfter, – er erkennt den wirklichen Gegner und die wahre Natur des Ego. Und er erkennt sich selbst dahinter. Trotz großer Sorgen und Existenzängste, „setzt er den Fuß mehr und mehr in die Luft“. Und er erlebt, „dass die Luft mehr und mehr trägt“.
Unerwartet öffnen sich da nun Türen; tausende von verrückten Zufällen und Snychronizitäten lassen ihn plötzlich staunen, gekostet hatte er ja schon davon. Aber das ist eine andere Welt; und das ist erst der Anfang, die Vorbereitung auf die Intensität, die in völliger Hingabe erfahren werden will. Dann nämlich schweigen die vernünftigen Vorstellungen ganz, – und alles was dann bleibt, ist wieder absolute Unvorstellbarkeit und wahrhaftige Tugend. Mit anderen Worten: Die Welt der Wunder, die er längst vergessen hat, ist wieder da – denn Denken war immer ein Vergessen all des Undenkbaren und Ungedachten. Diese Welt war immer da, hinter den Gedanken lag sie verborgen. Und nun wird der Mensch wieder ein Teil von ihr, und sie ein Teil von ihm. Damit kommt er bei sich … in allem … bei allen … an.
Erreicht er den Zustand, an dem er völlig loslassen kann, an dem nichts mehr getan oder erwartet werden kann, dann erfährt er plötzlich, dass nichts getan werden muss. Dann beginnt alles zu fließen; Vollendung geschieht nun als Tugend, nicht mehr als Akt der Vernunft. Lässt er ganz los, – und dieses Loslassen kann eben auch nicht erzwungen oder kontrolliert werden, denn dann wäre es kein Loslassen -, dann fällt er ganz in die Bedingungslosigkeit hinein. Dieses Loslassen war das ziellose Ziel dieses pfadloses Weges, der so weit erschien. Jeder Schritt war die Antwort, jeder Weg war ein Irrweg. Es war alles da, die ganze Zeit. Er erfährt sich in Gott, im Dao, im Namenlosen … , und er erfährt das Namenlose in sich. Alles was zwischen ihm und Gott stand, war er selbst. Was ihn trennte, war das vorgestellte „Ich“, die Summe aller Vorstellungen. Er erfährt nun, dass bedingungslose Liebe immer da ist, wo Grund- und Absichtslosigkeit und Gegenwärtigkeit erreicht ist. Nun braucht es dazu keine Menschenspiegel und Umstände im Außen mehr. Das ist das ganze Geheimnis. Liebe ist Gegenwärtigkeit, ist Sein …
Er weiß nun, dass dieser Zustand weder durch Licht- noch durch Schattenarbeit erreicht werden konnte, sondern dass es der Urzustand ist, und dass alle Anstrengung noch immer das Ego war, das nicht loslassen wollte. Nun lässt er los, sich selbst!, und erkennt, dass es nie etwas festzuhalten gab … nur Erfahrung, hier und jetzt. Und da kann alles kommen.
… und damit Guten Morgen. Das waren mal wieder #Kaffeegedanken … bevor die Rubrik einstaubt. j.j.
Epheser 2,8 »Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es!«
Matthäus 7,21 »Es werden nicht alle in das Himmelreich kommen. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet.«