Ein Auszug aus meinem neuen Buch, heute im BEZIEHUNGSWEISE MAGAZIN erschienen.
Hier der Buchauszug auch für meine Blogleser:
„Sich nur dem Angenehmen und dem Gefahrlosen hinzugeben und Enttäuschungen um jeden Preis vermeiden zu wollen ist, wie mit nur einem Bein zu tanzen – das können wir machen, aber so kommt niemand wirklich von der Stelle. Wer auf einem Bein herumhüpft, muss ständig in Bewegung bleiben, um nicht umzufallen. Aber irgendwann setzt die Erschöpfung ein. Dann landet man doch da, wo man eigentlich nie hinwollte, nämlich ganz unten – und kommt womöglich nicht mal mehr aus eigener Kraft wieder hoch. Auf dem Ball der Einbeinigen ist alles gut, solange jeder mithüpfen und Erfolge vorweisen kann. Aber wehe, einer fällt um.
Die Liebe berührt mich gerade deshalb jetzt so tief, weil ich den Schmerz und die Wahrheit wieder zulassen kann und mit beiden Beinen auch auf die Angst zugehe und Enttäuschungen in Kauf nehme. Und die Liebe ist so groß, dass darin Gefühle einfach nur Gefühle sein dürfen, der Schmerz einfach nur Schmerz – und ich einfach nur ein Mensch sein darf. Die Liebe ist das ganze Theater, nicht das halbe – die Liebe ist das alles! –, die Liebe ist der Tanz der Gegensätze: Licht und Schatten, richtig und falsch, hoch und runter, Freude und Schmerz. Und darin tanzt sie sich erst frei.
Ein ständiges Drunter und Drüber, dem wir uns hingeben dürfen, um die eigene Mitte und unsere ganze Fülle auszuloten, doch dazu müssen wir uns trauen und vertrauen. Alles will einfach nur erfahren und erlebt werden – und wir sollten eben miteinander durch diese Welt tanzen und nicht nur nebeneinander vor der Glotze hocken oder hintereinander die Karriereleitern und Ranglisten hochsprinten. Der schönste Tanz zwischen zwei Menschen ist möglich, wenn sich da zwei finden, die sich diesem Tanz, diesem Auf und Ab hingeben können – die ihre eigenen Schatten genauso willkommen heißen wie ihr Leuchten –, die sich dem Schmerz hingeben, so wie sie sich der Freude hingeben wollen. Und wo sie alle Seiten in sich selbst erkennen und mit ihrem Licht willkommen heißen, können sie andere Menschen auch ganz in ihrem Leben begrüßen. Sie müssen nicht jeden wieder durch die Tür jagen oder auf Abstand halten, der sie im Spiegel mit der eigenen Dunkelheit und dem Unbewussten begrüßt. Liebe ist wie Höhenkrankheit, je höher man steigen will, umso mehr raubt sie einem erst einmal die Luft. Aber man gewöhnt sich nach einer Weile daran. Und dann ist ja da dieser Ausblick oben!
Entweder wir fühlen alles oder wir fühlen am Ende gar nichts mehr. Und was wir nicht fühlen wollen, das müssen wir mit viel Anstrengung wegdenken. Es heißt oft, dass Liebe angeblich nicht wehtut, sondern dass nur Menschen uns wehtun, die nicht lieben können. Aber ist das wirklich so einfach?
Wenn wir uns selbst lieben und respektieren würden, könnten uns sicher viele nicht mehr verletzen. Wir sind so verletzbar, weil da noch wunde Stellen in uns sind – wir uns noch unfrei und unbewusst auf Auseinandersetzungen einlassen –, weil wir uns noch nicht bewusst und auf gesunde Weise von anderen abgrenzen können. Wir lassen uns verletzen, weil wir selbst noch an diesen wunden Punkten zweifeln oder nur ungern hinsehen wollen, und manchmal auch, weil wir uns wenigstens wieder spüren, wenn sie aufgerissen werden. Wir sind eifersüchtig und brauchen Sicherheiten und Garantien, weil uns vielleicht noch Verlustängste plagen. Wir manipulieren, kontrollieren und geben uns für Machtspiele her, weil wir uns nicht hilflos fühlen wollen. Wir lassen uns vielleicht sogar demütigen und schlagen, weil wir jeglichen Selbstrespekt verloren haben. All das gehört auch zur Liebe, aber dann ist sie noch nicht frei und zeigt uns erst unsere Wunden, damit wir endlich bewusst hinschauen und uns um sie kümmern können, damit Heilung geschehen kann.
Jeder liebt, wie er kann und wen er kann. Und wir lieben uns manchmal so lange gegenseitig kaputt, bis wir uns zwangsläufig entschließen müssen, uns zu reparieren, um gesünder, freier, tiefer und ohne Angst und Zweifel lieben können. Aber wir sind eben Menschen, keine erleuchteten Buddhas, und eine Liebe ganz ohne Schmerz ist eine Illusion. Ob wir uns aber von anderen Menschen weiter unbewusst verletzen lassen oder lernen, uns bewusster von ihren Problemen, die nichts mit uns zu tun haben, abzugrenzen, ist ein großer Unterschied. Jede Beziehung kann uns dabei helfen, unsere eigenen Stärken und Schwächen bewusster zu erleben – wie auch die eigenen Grenzen und die der anderen. Jeder Mensch hat Grenzen und sollte sie kennen und achten. Und erst wo wir klare Grenzen ziehen und respektieren können, wo wir uns also wirklich kennenlernen und Verantwortung übernehmen, da kann der Strom der Liebe und der Leidenschaft überhaupt erst wie in einem Flussbett ungehindert fließen.
Eine solche Liebe ist wie Musik und Tanz – wohin der Tanz führt, spielt doch gar keine Rolle. Geht es denn beim Tanzen darum, irgendwo anzukommen? Geht es in der Musik darum, möglichst am schnellsten die Schallplatten zu drehen, ohne dass die Nadel vor dem Schlussakkord aus der Spur fliegt? Geht es in der Liebe um ein klares Ziel, muss man immer alles schon vorher wissen?“
aus Liebe oder der Mut, mich hinzugeben, statt mich herzugeben von Janice Jakait / ISBN: 978-3-95803-130-2 erschienen im Scorpio Verlag, September 2017.
Über die Autorin: Janice Jakait, geboren 1977, gab ihre Arbeit als IT-Beraterin für das Abenteuer Leben und die Suche nach Zufriedenheit auf. Als erste Deutsche überquerte sie 2011/12 allein und ohne Begleitboot in einem Ruderboot den Atlantik. Über ihre Erfahrungen auf dem Meer schrieb sie 2014 den Bestseller „Tosende Stille“. In ihrem 2016 erschienenen Buch „Freut euch nicht zu spät“ erzählt Janice Jakait von der Zeit nach dem Abenteuer und dem Weg zurück in den Alltag.