Der Verstand bildet eine konstruierte Wirklichkeit, eine verzerrte Reflexion, ein sich schnell aufschaukelndes Echo der Realität ab – unsere Vorstellung! – in der alles zum Ding, zum kausalen Konzept, zur Ursächlichkeit und zum Ziel oder Unziel, Sinn oder Unsinn gerät. Auch er selbst ist in der Selbstreflexion davon betroffen, was einen Prozess der Selbsterkenntnis zum Teufelskreis macht, denn wir denken nie über Kants philosophisches „Ding an sich“ nach, sondern nur über das, was wir in Gedanken bereits daraus gemacht haben.
Auch unser wahres Selbst gerät im Verstand durch frühkindliche Konditionierung und Identifikation mit Spiegelungen in der Verhaftung zu einem Selbstbild, zu einer Kopie. Diese „Symbole“, diese Abbilder und Reflexionen im Kopf werden so komplex und verwirrend, dass sie bald unser ganzes Bewusstsein, unsere Aufmerksamkeit komplett auf sich ziehen können, und wir uns in Gedanken verlieren und nur noch MIT IHNEN IDENTIFIZIEREN. Wir geraten in einen Film reiner Fantasie, und darin selbst, zur Illusion (Ego). Wir meinen dann immer noch, mit der Realität in Kontakt zu sein, leben aber eigentlich auf einer transparenten, ihr übergestülpten Folie, auf der alles beschriftet und bemalt wird.
Wenn wir das reine Erleben und die ungefilterte Wahrnehmung – den Kontakt zur „Realität“ und unseren Gefühlen nicht wiederfinden, bleiben wir darin irgendwann komplett hängen, im schlimmsten Fall. Und das, ohne es wirklich verstehen zu können.
Der Kopf ist ein Problemlöser, der uns von A nach B bringen soll – jeder Gedanke hat also eine Ursache und ein Ziel (Sinn) – lebt nur in der Vergangenheit oder Zukunft. Im Idealfall ließe sich das im Hier und Jetzt in einem kreativen, schöpferischen Akt kanalisieren (Kunst).
Aber unser Selbstbild (auch nur ein Kunsterwerk) im Kopf, mit dem wir uns identifizieren, kann ebenso schnell zum Problem werden, das irgendwie gelöst werden muss, und es kann im Kopf nie der Vollkommenheit gereichen. Wir selbst geraten zu Gedanken, die nach Perfektion streben – im Wahn der Selbstoptimierung meinen wir, erst jemand werden zu müssen, während wir längst jemand sind. Sein vs. Seinwollen. Der Kopf weiß viele Ziele (Glück, Freiheit, Liebe … ) aber das einzige Ziel des Kopfes kann nur Denken und Problemlösen sein. Sind wir darin verloren, damit identifiziert, sind wir selbst nurmehr ein Problemlöser der Herz und Gefühle nurmehr in Gedanken kennt, dann ist jeder Ausweg aus einem Problem nur der Umweg in ein neues. Wir haben die Kontrolle verloren. Je mehr wir denken, desto klüger werden unsere Probleme.
Je mehr wir uns mit dem Selbstbild identifizieren, je mehr wir über uns nachdenken und sich unser Fokus verkleinert, desto größer muss ich als Problem erscheinen (makelhaft), desto mehr Anstrengung wiederum verwendet der Verstand darauf, dieses Problem auch zu lösen.
Er denkt noch mehr und mehr -> das Problem kann also nur noch größer sein – noch mehr Anstrengung, bis zur Erschöpfung im schlimmsten Fall. Am Ende geht der Verstand aus Verzweiflung womöglich sogar lieber mit einem völlig verzerrten Selbstbild unter, wählt die Vorstellung einer Lösung namens Freitod, statt die Freiheit, die er ja gar nicht kennen und leben kann -> Realität.
Woran erkennt man, dass man den Kontakt zu sich selbst und der Realität verloren hat? Man fühlt immer weniger etwas, das nicht nur ein Produkt von Gedanken ist, die sich nur mit sich selbst beschäftigen (Gefühle vs. Emotionen). Statt Liebe (Festhalten) oder Trauer (Loslassen), nur noch Gedanken, die immer erfolgloser einst doch mal erlebtes, jetzt nur noch erinnertes, vorgestelltes Gefühl in der Zukunft wieder erleben wollen (Gier), oder Gedanken, die sich vor sich selbst fürchten, weil sie oft darin scheiterten (Angst), oder die sich dann selbst bald nicht mehr leiden können (Wut, Frustration, Hass), am Ende: Verzweiflung ..
Abstumpfung, trotz einer Überflutung an Reizen, Entscheidungsdilamma – Kurzum, wenn’s in der Vorstellung besser läuft, als im Leben. Wenn Sonnenuntergänge irgendwann noch weniger mit uns machen, als Sonnenuntergänge auf Instragam, wenn wir Menschen in unseren Erwartungen mehr lieben können, als in einer Partnerschaft – wo uns vielleicht hier und da sogar noch zwei von zwanzigtausend eigenen Schnappschüssen gelingen, auf denen wir uns selbst noch gefallen und genügen, aber wir uns dann einfach nicht mehr entscheiden können, welches davon nun unser neues, strahlendes Facebook Profilbild werden soll … da könnte man es spätestens bemerken.
Der Ausweg ist offensichtlich. Die Freiheit, über die wir nachdenken allerdings, ist nur ein neues Gefängnis in Gedanken. Das erdachte Selbstbild kann sich nicht von Gedanken befreien, kann nicht Buddha und Swami werden. Am Ende ist die Freiheit die totale Enttäuschung für dieses Selbstbild, in der es sich nur auflösen kann. Wir können das wissen, leider müssen wir es aber auch begreifen – und begreifen ist erleben. Solche Gedanken tun weh, leider – aber es bleiben nur Gedanken, Gott sei Dank! Das sollte man eben nur niemals vergessen bis die Ziellosgkeit „erreicht“ ist!
So Gedanken eben, besagte Selbstreflexion einer „Janice Jakait“
Und da heute der 11. September ist, sei mir noch ein Gedanke zu diesem Tag gestattet:
2.989 † Opfer des Terrors vom 11. Sep. 2001
1.700.000 † Opfer des Krieges gegen den Terror 2001 bis 2014
Ich finde nicht nur heute, an diesem Tag, BEIDES einfach nur schrecklich traurig. Aber heute sollten wir vielleicht auch die Schuldfrage wenigstens für einen Tag vergessen, und den Opfern auf allen Seiten gedenken, und wir sollten einfach nur trauern und mitfühlen. Heute sollte es egal sein, Warum? und Wieso? … einfach nur das DAS! sollte uns gewahr sein und uns auch bestürzen. Heute sollten auch Täter nur Opfer sein dürfen, von Hass, Verblendung und Verurteilung auf dieser Welt … auch, und gerade weil es uns sonst so schwer fällt (durchaus auch im Hass etwaige Selbstverantwortung zu erkennen.)
Ich finde, dieser Tag sollte ein Tag der Vergebung sein. Auch weil ich daran glaube, dass nur in der Vergebung eine Chance erwachsen kann, die Zukunft anders zu gestalten.
Nachtrag: Aus diesem Blogeintrag generierte sich eine neue Folge (26) für meinen Podcast „Tosende Stille“