Das hier ist noch nicht vorbei! Wie konnte ich nur so naiv sein und anfangen die Tage zu zählen. Da verliere ich ein paar Meilen in den letzten Etappen, und plötzlich muss ich meine Rechnung neu aufmachen – muss ein, zwei, vielleicht sogar: drei Tage drauf rechnen. Das ist mental hardcore. Versteht keiner – aber es war wirklich blöd. Zog mich jetzt extrem runter am „Wochenende“. ALSO: Nichts ist vorbei! Das hier geht noch Wochen – nicht Tage, nicht Stunden. Jetzt folgt der wirklich herausfordernde Teil: Die Annäherung an die Insel. Nach tausenden Kilometern auf offenem Ozean, muss ich nun einen winzigen Zielpunkt auf der offiziellen Ziellinie nördlich von Barbados treffen. Der Hafen liegt dann auf der Westseite der Insel, der Osten ist absolutes Schiffsbruchgebiet. Ich muss also die Insel umrunden, darf auf keinem Fall an der Ostküste landen, darf aber auch nicht zu weit nördlich passieren, sonst treibe ich wieder aufs offene Meer heraus und kann die Insel nicht erneut gegen den Wind ansteuern und muss weiter in den Westen nach weiteren Inseln schauen. Die Küste ist zudem gesäumt von gefährlichen Korallenriffen – nein, diese Reise ist wirklich noch lang nicht vorbei! Ich steuere bestimmt auf den Punkt zu, rechne die Wetterszenarien durch und weiß genau, dass nun -nach der extrem anstrengenden Abfahrt in Portugal- der zweite hochkritische Abschnitt bevorsteht. Das Ruderboot ist für mehr also 12 Meter hohe Wellen gebaut wurden, kann schwere Stürme ab … aber Land und Korallenriffe, nein, nicht so dolle.
Ich ziehe also die Reißleine, höre mit dem Tagezählen auf und versuche mich wieder in meiner Welt hier einzuklinken. Wäre schade jetzt nur noch abzuwarten und die Zeit herunter zu rudern. Führt auch zu Unachtsamkeit. Es passiert doch noch soviel hier! Heute Morgen zum Beispiel! Irgend etwas kracht lautstark draußen in meine Niro-Funk-Antenne. Ich denke mir noch, es wird ein Fliegender Fisch sein, aber öffne die Luke und schaue in den Sonnenaufgang. Oh nein! Einer dieser großen, zauberhaften Tropikvogel ist gegen die Aufbauten gekracht. Es ist aber nicht Jack, mein alter Tropenvogelbegleiter, nein, der hier ist neu. Schaut dürr aus, scheint müde. Ich trete aus der Luke, darüber hält sich der Vogel direkt vor den Antennen in der Schwebe. Und dann passiert das Aberwitzige: Er versucht auf MEINEM KOPF zu landen! Kein Scherz! Er geht vor den Antennen runter, kann nirgends sonst landen mit seiner Flügelweite, und ich hebe nur noch meinen Arm und mache ihm GANZ GANZ GANZZZZ deutlich, dass ich das nicht mag! Ich gestikuliere ihm, dass ich versuchen werde die Antennen abzuklappen, dass er versuchen kann auf den Solar-Panels zu landen. Es sei angemerkt, dass etwa 15 bis 20 Knoten Wind herrschten. Ich drehe mich also um, will die Halterung öffnen, als ich direkt hinter mir am Bug ein Segel über dem Wellenkamm erblicke.
Keine Zeit mehr für den Vogel – ich brauche die Antenne doch noch! Ich stürme in die Kabine und rufe das Boot auf Notrufkanal. Es antwortet! Glück gehabt. Es dreht sofort ab. Wir hatten beide keine Kenntnis von einander. Weder AIS-, noch Radaralarm. Bei dem Wellengang konnten wir auch die Lichter nicht eher sehen. Ein französischer Einhandsegler, soweit ich ihn verstehe. Will nach Martinique. Wir unterhalten uns in seinem gebrochenen Englisch, tauschen Webseiten, schießen Fotos (sind online!) und verabschieden uns mit ein paar Scherzen, die er auf Kosten meines winzigen Bootes macht, und dem langen Zeitraum, den ich bereits darin verbringe.
Ich suche den Vogel – Fehlanzeige. Nur Murphy, meine treue Sturmschwalbe, dreht inzwischen ihre drei Runden im Sonnenaufgang ums Boot, und wir werfen uns wie immer die Küsschen zu. Seit Portugal, seit Portimão, seit 75 Tagen folgt er mir! Aber der Tropikvogel ist verschwunden. Klar mach ich mir einen Moment lang Vorwürfe. Aber was soll ich denn machen. Jack, sein Tropikvogel-Schwippschager, versuchte auch schon ein paarmal zu landen, hat es auch nicht geschafft und es geht im nach wie vor bestens. Also. Diese Vögel leben in der Luft, ich glaube nicht dass sie auf Boote angewiesen sind, um mal zu verschnaufen. Und trotzdem, das war mir etwas zu hastig heute, hoffe er war nicht entkräftet.
Ich rufe nochmals den Franzosen über Funk. Frage ob er meinen Vogel mitgenommen hat. Er lacht, aber verneint. Na ja. Auf der anderen Seite denke ich kurz daran, dass ich ohne den Vogel das Segelboot vielleicht erst viel zu spät bemerkt hätte und wir womöglich, entgegen aller Wahrscheinlichkeiten, am Ende noch zusammengerauscht wären. Das war wirklich knapp, wie ihr ja auf den Bildern sehen könnt. Bevor er abdrehte, folgte er meinem Kurs. Als ob der Vogel nur kam um … ach … es ist wieder so weit, diese seltsamen Gedanken, die sich hier draußen soooo oft aufdrängen bei all den Zufälligkeiten.
CUT. Auch wenn es ziemlich rau ist, ich komme jetzt wieder etwas besser im hohen Schwell voran. Genieße bis zu 6m Wellen, und nutze die Chance und mache endlich mal ein Foto von Fliegenden Fischen. Lebend! IN DER NÄHE! In der Luft! Das war eine schwere Geburt! Sind sie weiter weg als 5 Meter, sieht man nix auf dem Film. Kommen sie zu nahe, krachen sie aufs Boot. Also: Nach tausenden Fischen die ich fliegen gesehen habe, und nach mehr als zweihundert die ich inzwischen MEIST tot oder halbtot im Cockpit fand: Endlich ein Video mit gesunden fliegenden Fischen!
Damit habe ich eigentlich meinen Foto/Videokatalog voll. Na ja … eine Sache fehlt noch … eine kleine. Und nein! – es ist kein Foto von mir selbst. Habe nach eurer Kritik endlich eines hochgeladen heute! Nein, es ist eine andere Sache die ich mir insgeheim noch auf Video wünsche. Eine Wasserhose, ein Tornado auf dem offenen Meer. Jaaaa …. ich weiß! Aber das wäre ein tolles Finish. Na ja, noch genug Zeit!