Natürlich gäbe es ganz akut wieder jede Menge Doping für die Augen. Gäbe es so viel zu schreiben und zu zeigen. Aber heute verweise ich mal ganz dezent an meine zahlreichen Twitter und Facebook Einträge, und verwöhne euch nicht mit einer langen Gruselgeschichte über das garstige Unwetter, die hinterhältige Kreuzsee, die Geisterschiffe der Nacht und die leuchtenden Doraden im Tageslicht. Das alles habt ihr unlängst auf den letzten Bildern entdeckt. Nein, etwas anderes wird heute als Bettgeschichte serviert.
In den letzten Tagen wurde ich mehrfach in Telefoninterviews (SWR2 Link bei Facebook!) gefragt, was denn nun bisher am Gefährlichsten, am Anstrengendsten, am Spannendsten gewesen wäre. Und natürlich kommen dann gleich die Haie, Tanker, Gewitter und Treibnetze. Aber gerade in den letzten Tagen bemerke ich auch, wie sich mein Verstand neu kalibriert. Ich reflektiere das Funkeln des Angstschweißes nun aus einer anderen Richtung, beobachte verstärkt wie ich mich verändere, wie ich mir Vermeidungsverhalten antrainiere, Schwächen zeige und mich innerlich aufreibe. Wie ich aus dem Wasser getrieben werde von meinem Kopf, nicht von Haien, nicht von Stürmen. Ich stelle fest, dass diese Herausforderung in der Diversität und konstanten Überfrachtung mit Eindrücken besteht. Es gibt nicht mehr DAS EREIGNIS welches mich erstarren lässt und mich zu zerbrechen versucht. Es ist die Zeit die mich aufrisst. Am Anfang nagt sie noch. An den Knochen, den Gelenken, im Kopf … aber nach fast zwei Monaten verzehrt sie sich nach meinem Verstand, schlingt, frisst mich mit Haut und Haar.
Nie zuvor hatte ich Probleme einzuschlafen. Doch das Schmatzen der Zeit ist Nachts am Lautesten, direkt neben meinem Ohr höre ich, wie die Uhr mit dem Zeiger das Zifferblatt nach mir leckt. Seit Tagen kämpfe um etwas Schlaf. Es ist heiß in der Kabine, die Wellen der Kreuzssee krachen an die Bordwand, gewaltige Gewitter entladen ständig ihre Schadenfreude in Blitz und Schauer über meinem Boot. Ich warte den nächsten Einschlag ab, und öffne die Luke um etwas Sauerstoff einströmen zu lassen, um nur für zwei Augenblicke die Kühle es Windes atmen zu dürfen und mir vom Regen die Stirn erfrischen zu lassen. Doch ich schalte das Deckslicht nicht an. Weiß, dass ich wieder nur überrascht werde, mir wieder der hohe Puls die zarte Müdigkeit aus den Adern pumpen wird, wenn ich nur sehe, was da wieder auf dem Deck liegt. Nach nun mehr als einhundert toten Fischen, noch immer findet sich eine Überraschung. Gewiss. Sei es ein noch lebender Tintenfisch, der sich mit Saugnapf und Farbe gegen seine Befreiung wehrt, sei es eine Welle, die außerplanmäßig von der anderen Seite einschlägt und mir fast wieder die Kabine flutet. „Ich darf nicht!“ „Ich sollte nicht!“ Was immer ich tue, eine Ausrufezeichen wird den Gedanken abschließen.
Die letzte dieser Nächte, zeigte mir wieder wie grausam und chronisch mein Verstand gefoltert wird. Ich liege in der Kabine, etwa alle zehn Minuten schlägt ein Fisch auf dem Deck ein. Dazwischen höre ich die dumpfen Einschläge von Fischen an der Kabine aussen, die ich gar nicht erst zu zählen vermag. Ich quäle mich hoch, schätze die See ein. Öffne die Luke und stülpe mir eine Tüte über die Hand. Da liegen sie, die Kiemendeckel verkrampfen fast, sie ringen um Luft. Springen bei jeder meiner Bewegung umher. Die „Flügel“, die Seitenflossen, weit abgespreizt. Ich überwinde mich, habe definitiv längst ein Trauma, auch wenn jeder Angler jetzt darüber lachen wird. Ich versuche die Fische zu greifen. Schwierig. Glitschig. Darf die Flossen nicht abknicken. Muss aber auch fest zupacken, sonst schlüpfen sie zappelnd wieder in die nächste Ecke. Meist bluten sie, entgleiten mir. Das Deck ist längst blutverschmiert. Manchmal sind sie so verletzt, dass ich … naja. Es ist grausam. Ich werfe sie ins Wasser, ahne aber, dass die Doraden längst warten und ihnen auch eine Zweite Chance verwehren. Nehme auch stark an, dass die Doraden (ich habe bis zu unglaublichen 50 Stück davon unter mir) nicht ganz unschuldig daran sind, dass soviel Fliegende Fische im Boot landen. Wann immer die Doraden tagsüber abwesend sind, kann ich die Kamera schnappen. Es beginnt die Jagt, circa 50m vor meinem Bug. Hunderte von Fliegenden Fischen flüchten. Manchmal springen die Doraden sogar hinterher. Unglaublich wie viele es davon geben muss.
Nun denn, werden die Gewitter zu heftig, die See zu grob, so sind mir Nachts die Hände gebunden. Das Risiko ist zu hoch dass mir etwas passiert, ich kann nicht mehr wegen jedem Fisch raus, riskiere damit irgendwo ab einen gewissen Punkt auch mein Leben. Da liege ich in der heißen Kabine verkrochen, finde es feige mir Kopfhörer aufzusetzen. Aber ich muss schlafen. Das geht nicht wenn auf der anderen Seite der Luke Fische lautstark zappelnd und springend gegen den Tod kämpfen oder wenige Zentimeter neben meinem Ohr gegen die Bordwand krachen.
Das geht nun seit Tagen so. Die Gewitter, die See, tun ihr übriges um mir den Schlaf zu rauben. Das Wetter ist sowieso eine Katastrophe, der Wind versucht mich nach Norden zu drücken. Also muss ich noch mehr rudern. Die Hände weichen auf im Regen, die Blasen reißen auf. Die Fingergelenke sind chronisch durch. Ich benötige Morgens mehrere Minuten um die Finger überhaupt wieder gerade Strecke zu können. Die Knie, die Achillessehne. Am schlimmsten die Schultern. Und dann liege ich in der Kabine, und kann meine Arme nicht mal ausstrecken, liege eingepfercht zwischen den Netzen, den Kojensegeln. Klemme mich dazwischen fest um nicht im Seegang herum zu rutschen. Die Schultern bekommen keine Auszeit, die Knie wund, die Ellenbogen wund. Auf der Seite liegen: unmöglich wegen den Schultern. Liege ich auf dem Rücken, liege ich mit kaputter Haut vom Rudersitz auf. Auch nicht besser. Auf dem Bauich schlafen geht gar nicht, dann wird mir schlecht.
Der Wind drückt und drückt. In die falsche Richtung. Es ist frustrierend zuzuschauen, wie mir wieder Seemeile um Seemeile geraubt wird. Ständig muss ich den Kurs prüfen. Das Schwert einschieben, die Droge auswerfen. Ruder trimmen. Ständige dreht der Wind wenn Gewitter queren. Aber ich kann nicht 24 Stunden rudern. Ich kann auch nicht 24 wachbleiben. Kann aber auch nicht schlafen.
Heftiger Schlafentzug also im Moment. Es sind all diese Kleinigkeiten. Jede von ihnen einzeln wäre eine Witz. Doch in ihrer stetigen Präsenz über einen so langen Zeitraum, zermürben sie Körper und Geist. Es ist die Zeit die mich aufrisst. Und die Erwartung: Es könnte noch schlimmer werden. Und just wo man selbst meint nun alle Qual zu kennen, wird man wieder von einer neuen Situation überrascht. Das schürt langfristig eine stetige Erwartungshaltung, das ist anstrengend.
Nach wie vor komme ich damit klar. Und stehe dann Morgens vor dem Sonnenaufgang, teil plötzlich ruhige See. Als wäre nichts gewesen in der Nacht. Die Vögel kommen zurück, der Ozean zieht sich seine schönsten Kleider an um mich wieder zu versöhnen. Ich steige in die Achterbahn, schnelle mich an und lasse mich wieder nach oben ziehen.